Die nicht rechtzeitige Wiederwahl des Verwaltungsrates führt zu einem sogenannten Organisationsmangel

Hast Du die Generalversammlung nicht immer strikt in den ersten sechs Monaten des Jahres durchgeführt? Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Gesellschaft gar keine gültig gewählten Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte mehr hat. Ihre Gesellschaft leidet dann an einem sog. Organisationsmangel. Was Du tun musst, um diesen Organisationsmangel zu beheben, erklärt der vorliegende Beitrag.

Die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft muss innerhalb von sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres durchgeführt werden (Art. 699 Abs. 1 OR). In der Praxis wird diese Frist aber oftmals nicht eingehalten. Die Nichteinhaltung dieser Frist kann aber zu erheblichen Problemen führen: Wird die Generalversammlung zu spät durchgeführt, besteht nämlich das Risiko, dass alle Beschlüsse, die der Verwaltungsrat nach dieser Generalversammlung trifft, nichtig sind. Nachfolgend erklären wir warum und wie dies verhindert oder bereinigt werden kann.

Mit Entscheid vom 3. Dezember 2021 hat das Bundesgericht eine bisher in der Lehre umstrittene Rechtsfrage geklärt. Dabei geht es um das Ende der Amtsperiode von Verwaltungsräten.

Die Statuten von Aktiengesellschaften sehen in der Regel für Verwaltungsratsmandate eine Amtsperiode zwischen einem und maximal sechs Jahren vor. Weil die Generalversammlungen nicht jedes Jahr zum gleichen Zeitpunkt stattfinden, steht in den Statuten neben der Amtsdauer oftmals, dass die Amtsperiode von einer Generalversammlung bis zur nächsten Generalversammlung dauert. Diesbezüglich stellt sich die Frage, wann das Verwaltungsratsmandat endet, wenn keine Generalversammlung stattfindet.

Das Bundesgericht hat entschieden, dass in so einem Fall die Amtsperiode der betroffenen Verwaltungsräte am 30. Juni des Jahres, in dem die Amtsperiode des Verwaltungsrats ausläuft, endet.

Die Begründung hierfür ist, dass das Obligationenrecht vorschreibt, dass die ordentliche Generalversammlung bis am 30. Juni jeden Jahres durchzuführen ist. Die Verletzung dieser Gesetzesnorm durch den Verwaltungsrat darf nicht zu einer automatischen Verlängerung der Amtsperiode führen.

Sofern dies nicht geschieht, leidet die Gesellschaft an einem Organisationsmangel.

Folgendes Beispiel soll dies veranschaulichen:
Die Verwaltungsrätin Sibylle Matter wurde am 2. März 2019 in den Verwaltungsrat der Industrie AG gewählt. Gemäss den Statuten beträgt die Amtsperiode drei Jahre und dauert jeweils bis zur Generalversammlung des Jahres, in dem die Amtsperiode abläuft. Weil das Geschäftsjahr jeweils mit dem Kalenderjahr endet, muss die Generalversammlung 2022 bis spätestens am 30. Juni 2022 durchgeführt werden. Wenn die Generalversammlung 2022 nicht rechtzeitig (d.h. bis am 30. Juni 2022) durchgeführt wird, ist Sibylle Matter automatisch nicht mehr im Verwaltungsrat. Ist sie die einzige Verwaltungsrätin so hat die Gesellschaft nun keinen Verwaltungsrat mehr. Die Aktiengesellschaft leidet an einem Organisationsmangel. Dasselbe ist natürlich der Fall, wenn sie zwar nicht die einzige Verwaltungsrätin ist, aber auch die anderen Verwaltungsräte nicht rechtzeitig wiedergewählt wurden.

Was bedeutet dies konkret für eine Aktiengesellschaft?

Wenn eine Aktiengesellschaft mit einjähriger Amtsperiode der Verwaltungsräte in einem Geschäftsjahr vergisst, eine Generalversammlung durchzuführen oder die Generalversammlung auf einen späteren Zeitpunkt als Ende Juni ansetzt, verlieren die Verwaltungsräte ihr Mandat und sind ab dem 1. Juli dieses Jahres nicht mehr Mitglieder des Verwaltungsrats.

Das Handelsregisteramt überprüft die Amtsdauer der Verwaltungsräte nicht. Daher bleiben die Personen als Verwaltungsräte im Handelsregister eingetragen. Gestützt auf den Handelsregistereintrag können sie die Gesellschaft weiterhin gegen aussen vertreten, dennoch sind sie nicht mehr Verwaltungsräte. Die Folgen können gravierend sein. Weil es in so einem Fall keinen Verwaltungsrat mehr gibt, kann der Verwaltungsrat auch nicht mehr rechtsgültig eine GV einberufen. Wenn im Handelsregister als Verwaltungsräte eingetragene Personen, deren Mandat abgelaufen ist, aus Unwissenheit eine Generalversammlung einberufen, sind die Beschlüsse dieser Generalversammlung nichtig.

Der Grund dafür ist, dass die Generalversammlung nicht rechtsgültig einberufen wurde. Damit wird auch die Widerwahl, die an so einer verspäteten Generalversammlung traktandiert wird nichtig und das Ganze geht in den Folgejahren so weiter. Bis zu einer Bereinigung dieser Situation sind alle Generalversammlungsbeschlüsse (ausgenommen die Beschlüsse einer Universalversammlung) nichtig.

Wie kommt man aus diesem sogenannten Organisationsmangel wieder heraus?

Dafür gibt es drei Möglichkeiten, wobei je nach Konstellation nicht alle drei möglich sind.

  1. Sofern die Gesellschaft noch über eine gültig gewählte Revisionsstelle verfügt, kann diese gültig eine Generalversammlung einberufen. Diese durch die Revisionsstelle einberufene Generalversammlung kann dann einen neuen Verwaltungsrat wählen. Wenn es jedoch keine Revisionsstelle mehr gibt oder auch deren Amtsperiode abgelaufen ist, kommt diese Variante nicht in Frage.

  2. Eine weitere Möglichkeit ist die Durchführung einer Universalversammlung. Dies ist eine Versammlung aller Aktionäre, die jederzeit auch ohne Einberufung stattfinden kann und sämtliche Beschlüsse rechtsgültig treffen kann. Die Herausforderung hierbei ist, dass jeder Aktionär anwesend sein muss und jeder Aktionär mit dem Verlassen der Generalversammlung die Beschlussfähigkeit aufheben kann. Dies bedeutet faktisch, dass im Aktionariat Einstimmigkeit aller Aktionäre herrschen muss. Die durch die Universalversammlung gewählten Verwaltungsräte sind ebenfalls gültig gewählt.

  3. Wenn beide vorgenannten Optionen nicht mögliche sind, z.B. weil es keine Revisionsstelle gibt und sich die Aktionäre nicht einig darüber sind, wer als VR gewählt werden soll, leidet die Gesellschaft an einem Organisationsmangel, den sie selber nicht beheben kann. In diesem Fall braucht es den Gang zum Gericht. Jeder Aktionär oder ein Gläubiger der Gesellschaft können dem Gericht ein Gesuch um Behebung der Organisationsmängel stellen. Auf dieses Gesuch hin wird das Gericht die geeigneten Massnahmen zu treffen haben, um den Organisationsmangel zu beheben. Dies kann durch die gerichtliche Einsetzung eines Verwaltungsrates oder die gerichtliche Einberufung einer GV mit dem Traktandum einer VR-Wahl erfolgen.

Mehr dazu, wie dieses sogenannte Organisationsmangelverfahren abläuft, liest du hier: ORGANISATIONSMANGELVERFAHREN NACH ART. 731B UND ART. 939 OR

Nachdem wieder rechtsgültig ein Verwaltungsrat gewählt oder durch das Gericht eingesetzt wurde, gilt es die zwischenzeitlich ergangenen und nichtigen Generalversammlungsbeschlüsse zu wiederholen bzw. rückwirkend gutzuheissen. So sollten alle zwischenzeitlich abgesegneten GV-Protokolle, Geschäftsberichte und auch die Beschlossenen Gewinnausschüttungen nochmals beschlossen bzw. abgesegnet werden.

Mehr Informationen zum Thema Gesellschafts- und Handelsrecht.

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