Die besondere Stellung der Aussendienstmitarbeiter

Der erhöhte Schutz, den das Arbeitsgesetz bietet, gilt nicht für alle Arbeitnehmer. Das Arbeitsgesetz findet nur dann Anwendung, wenn keine Ausnahme vom betrieblichen oder persönlichen Geltungsbereich vorliegt. Handelsreisende im Sinne der Bundesgesetzgebung sind gemäss Art. 3 lit. g ArG vom persönlichen Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommen. Aufgrund der Art ihrer Tätigkeit wird auf einen öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutz verzichtet. Das bedeutet für sie gelten keine Arbeits- und Ruhezeitenvorschriften sowie keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Wer aber ist Handelsreisender und wie verhält es sich diesbezüglich mit sogenannten «Aussendienstmitarbeitern»?

Der Begriff des Handelsreisenden

Der Handelsreisendenvertrag ist in Art. 347 ff. OR normiert. Subsidiär finden die allgemeinen Vorschriften des Arbeitsvertragsrechts der Art. 319 ff. OR Anwendung. Der Begriff des Handelsreisenden ist gemäss Art. 347 Abs. 1 OR durch die folgenden vier Merkmale gekennzeichnet:
 

  • Der Handelsreisende arbeitet auf Rechnung des Geschäftsinhabers.

  • Das Geschäft ist nach kaufmännischer Art geführt.

  • Der Handelsreisende erbringt seine Arbeit ausserhalb der Geschäftsräume.

  • Der Handelsreisende vermittelt Geschäfte mit Dritten oder schliesst diese direkt mit Dritten ab.

 
Sind diese Merkmale einschlägig, sind zur weiteren Abgrenzung drei Negativkriterien aus Art. 347 Abs. 2 OR zu prüfen. Demnach gilt nicht als Handelsreisender, wer:
 

  • nicht vorwiegend eine Reisetätigkeit ausübt;

  • nur gelegentlich oder vorübergehend für den Arbeitgeber tätig ist; 

  • Geschäfte auf eigene Rechnung abschliesst.

 
Das Vertragsverhältnis ist folglich in jedem Einzelfall auf diese sieben Merkmale zu untersuchen. Nur so kann abschliessend bestimmt werden, ob ein Handelsreisendenvertrag vorliegt oder nicht.
 
Wesentliches Merkmal für Handelsreisende ist, dass sie ihrer Tätigkeit ausserhalb der Geschäftsräume nachgehen und vorwiegend eine Reisetätigkeit ausüben. Die vorwiegende Reisetätigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer mehr als 50% seiner Arbeitszeit «ausserhalb der Geschäftsräume» des Arbeitgebers verbringt und nicht nur gelegentlich auf Reisen geht. Keine Reisetätigkeit liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer an einem stationären Arbeitsplatz ausserhalb der Arbeitsorganisation des Arbeitgebers tätig wird. Das bedeutet, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit von zu Hause oder anderen Büroräumlichkeiten aus leistet, ist dieses negative Abgrenzungsmerkmal nicht gegeben.
 
Zudem muss die Reisetätigkeit mit dem Abschluss oder der Vermittlung von Verträgen verknüpft sein. Ein Kundenberater, welcher überwiegend reist, dabei jedoch keine Verträge abschliesst oder vermittelt, sondern die Kunden anderweitig betreut, gilt nicht als Handelsreisender.
 

Der Begriff des Aussendienstmitarbeiters

Bei dem Begriff des «Aussendienstmitarbeiters» handelt es sich nicht um einen juristischen Begriff. Ein Aussendienstmitarbeiter ist nur dann ein «echter» Aussendienstmitarbeiter im Sinne des Gesetzes, wenn die Kriterien des Handelsreisenden erfüllt sind. Nur in diesem Falle greift die Ausnahme des Arbeitsgesetzes nach Art. 3 lit.g ArG und die Bestimmungen des Arbeitsgesetztes sind nicht auf den Aussendienstmitarbeiter anwendbar. Die blosse Bezeichnung eines Arbeitnehmers als Handelsreisender oder Aussendienstmitarbeiter ist für die rechtliche Qualifikation unerheblich. Daher kann der Begriff, den die Parteien zur Qualifizierung ihrer Vertragsbeziehung oder der Stellenbezeichnung verwenden oftmals irreführend sein. Die fehlende Abgrenzung ist besonders dann verlockend wenn die wahre Natur des Vertrages verschleiert werden soll, um zwingende gesetzliche Bestimmungen zu umgehen.
 

Stolperfallen für Arbeitgeber und Arbeitsnehmer

Von Interesse ist in diesem Zusammenhang regelmässig die Thematik der Überstundenregelung. Wichtigste Konsequenz aus der Unterstellung unter das Arbeitsgesetz ist die Anwendung der Arbeits- und Ruhezeitvorschriften. Für die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit oder gesetzliche Höchstarbeitszeit geleisteten Mehrstunden hat der Arbeitnehmer nach dem Obligationenrecht grundsätzlich Anspruch auf Kompensation durch Freizeitausgleich oder finanzielle Entschädigung. Wird ein Aussendienstmitarbeiter ungerechtfertigterweise als Handelsreisender eingestuft, kann dies beträchtliche wirtschaftliche Folgen haben. Gelingt es dem Arbeitnehmer die Mehrarbeit nachzuweisen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die vom Mitarbeitenden geleisteten Mehrstunden zu entschädigen. Solche Ansprüche des Arbeitnehmers verjähren wie alle Ansprüche von Arbeitnehmenden erst innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Entstehung und können Arbeitgeber – insbesondere von KMUs – vor grosse finanzielle Herausforderungen stellen.
 
In der Praxis gestaltet sich jedoch der Nachweis von Mehrarbeit für die Arbeitnehmenden oftmals schwierig. Untersteht das Arbeitsverhältnis dem Arbeitsgesetz besteht zwar eine Arbeitszeiterfassungspflicht des Arbeitgebers, kommt er oder der Mitarbeitende dieser Pflicht aber nicht oder nicht ausreichend nach, kann dies eine Hürde für die prozessuale Durchsetzbarkeit des Anspruchs bedeuten. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Rechtsfolgen bei fehlender Arbeitszeiterfassung nicht abschliessend geklärt sind.
 
Es lohnt daher ein prüfender Blick auf den vorliegenden Vertrag und die tatsächliche rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses. Nicht jeder Arbeitnehmer, der als „Aussendienstmitarbeiter“ bezeichnet wird, ist auch tatsächlich ein solcher im Sinne der Legaldefinition des Handelsreisenden.

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