Das neue Aktienrecht
Die Aktienrechtsrevision: eine Roadmap
Gut Ding will Weile haben – seit 2005 befassen sich Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mit der Aktienrechtsreform. Nachdem der Bundesrat in den vergangenen Jahren bereits erste Änderungen in Kraft gesetzt hat, beispielsweise die Geschlechterquote bei börsenkotierten Gesellschaften oder Transparenzvorschriften für Rohstoffunternehmen, folgt per 1. Januar 2023 nun die grosse Revision, die unter anderem die folgenden Änderungen mit sich bringt:
Neue Formen der Generalversammlung
Bereits während der Corona-Pandemie war es den Gesellschaften gestützt auf die Covid-19-Verordnung gestattet, ihre Generalversammlungen virtuell oder bei Einverständnis sämtlicher Aktionäre per Zirkularbeschluss (d.h. die Beschlussfassung auf schriftlichem Weg ohne förmliche Einberufung einer GV) abzuhalten. Diese Möglichkeiten werden mit Inkrafttreten des neuen Aktienrechts nun in Art. 701a ff. nOR verankert. Eine Generalversammlung kann künftig auch hybrid abgehalten werden, sodass die GV physisch an einem Tagungsort oder mehreren Tagungsorten parallel stattfindet und einzelne Aktionärinnen elektronisch zugeschaltet werden können. In technischer und organisatorischer Hinsicht muss die Gesellschaft den reibungslosen Ablauf sowie die Identifikation und Abstimmungsmöglichkeit der Teilnehmer sicherstellen.
Die Durchführung der GV im Ausland wird neu ebenfalls explizit zugelassen. Diese Bestimmungen gelten sinngemäss auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und Genossenschaften.
Bei der Digitalisierung der Generalversammlung gibt es allerdings rechtliche Stolpersteine und zahlreiche Unklarheiten. In unserem nächsten Blogbeitrag erfährst Du, worauf Du achten musst.
Kapitalband und Gestaltung des Aktienkapitals
Die Generalversammlung kann neu den Verwaltungsrat mittels Statutenänderung ermächtigen, innerhalb der nächsten fünf Jahre ab Beschluss das Aktienkapital einer AG nach Belieben im Umfang von 50% des bisherigen Aktienkapitals herab- oder heraufzusetzen, ohne dass dafür jeweils ein neuer GV-Beschluss benötigt wird (Art. 653s ff. nOR). Dieses sogenannte Kapitalband ersetzt die genehmigte Kapitalerhöhung und führt de facto die bisher unbekannte «genehmigte Kapitalherabsetzung» ein.
Das Kapitalband kann in den Statuten beliebig eingeschränkt (aber nicht erweitert) werden, sodass beispielsweise nur Abweichungen von 25% des bisherigen Aktienkapitals oder nur Kapitalerhöhungen, nicht aber Herabsetzungen möglich sind. Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) profitieren nicht von dieser neuen Regelung.
Neuerungen gibt es auch beim Nennwert und bei den zulässigen Währungen: Die bisherige «Rappengrenze» beim Nennwert der Aktien wird aufgehoben. Der Nennwert muss künftig lediglich «grösser als null» sein (Art. 622 Abs. 4 nOR). Das bringt zusätzliche Flexibilität bei der Ausgestaltung der Aktienstückelung. Bisher musste das Aktienkapital zwingend in Schweizer Franken geführt werden. Neu zulässig ist ein Aktienkapital in US-Dollar (USD), Euro (EUR), Yen (JPY) und Britischen Pfund (GBP).
Die wichtigsten Fragen rund um die Neuerungen zum Aktienkapital beantworten wir in einem separaten Beitrag.
Pflichten des Verwaltungsrates
Mitglieder des Verwaltungsrates aufgepasst! Mit der Aktienrechtsrevision kommen neue Pflichten auf Euch zu: Ab dem 1. Januar 2023 muss der Verwaltungsrat nämlich die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft ständig überwachen. Seine gesetzliche Handlungspflicht greift nicht mehr erst bei der Überschuldung, sondern bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Das neue Aktienrecht verpflichtet den Verwaltungsrat dabei zum «Handeln mit der gebotenen Eile». Die Einreichung eines Nachlassstundungsgesuchs gehört neu zu den unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates (Art. 725 nOR). Mit der Erweiterung des Pflichtenhefts des Verwaltungsrates muss dieser insgesamt agiler werden.
Neu werden auch in nicht börsenkotierten Gesellschaften die Mitglieder des Verwaltungsrats einzeln gewählt, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen (Art. 710 Abs. 2 nOR). Darüber hinaus bedarf die Delegation der Geschäftsführung an die Geschäftsleitung keiner statutarischen Grundlage mehr (Art. 716b nOR).
Welche Vorkehrungen Du als Mitglied des Verwaltungsrats zu treffen hast und wie Du Deine neuen Pflichten bewältigen kannst, erklären wir dir im Rahmen dieser Blogserie.
Stärkung der Aktionärsrechte
Die Aktionärsrechte werden im Zuge der Aktienrechtsrevision gestärkt. So können Aktionäre einer nicht börsenkotierten Gesellschaft, die zusammen mindestens
10 % des Aktienkapitals oder der Stimmrechte kontrollieren, neu auch ausserhalb einer Generalversammlung von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch machen (Art. 697 Abs. 2 nOR). Das Auskunftsrecht betrifft Angelegenheiten und Informationen der Gesellschaft, die zur Ausübung der aufgeklärten Beschlussfassung erforderlich sind. In Frage kommt beispielsweise die Auskunft über einzelne Verträge, sofern keine Geschäftsgeheimnisse tangiert werden. Auch die Hürden für die Ausübung des Einsichtsrechts in die Geschäftsbücher und die Akten der Gesellschaft werden herabgesetzt: Einsicht kann verlangen, wer alleine oder gemeinsam mit anderen mindestens 5% des Aktienkapitals oder der Stimmrechte vertritt, eine Ermächtigung durch die Generalversammlung oder durch den Verwaltungsrat ist nicht mehr nötig (Art. 697a Abs. 1 nOR).
Für Aktionäre wird es einfacher, Verhandlungsgegenstände traktandieren und/oder Anträge in die Einberufung der Generalversammlung aufnehmen zu lassen: Das Traktandierungs- und Antragsrecht bei nicht börsenkotierten Gesellschaften kann ausüben, wer alleine oder gemeinsam mit anderen 5 % des Aktienkapitals oder der Stimmrechte vertritt (bislang lag die Hürde bei 10 % oder Aktien im Nennwert von CHF 1 Mio). Bei börsenkotierten Gesellschaften liegt die prozentuale Hürde neu noch tiefer, nämlich bei 0,5 % (Art. 699b nOR).
Du willst mehr dazu wissen? Dann darfst Du Dich auf unsere nächsten Blogbeiträge freuen.
Weitere Änderungen
Die Aktienrechtsrevision führt zu zahlreichen weiteren Änderungen. So ist neu die Ausrichtung einer Zwischendividende (Ausschüttung einer Dividende während dem laufenden Geschäftsjahr) gestützt auf einen Zwischenabschluss möglich (Art. 675a nOR). Im Rahmen einer Verrechnungsliberierung können auch nicht werthaltige Forderungen – also z.B. Forderungen der Aktionäre in spe gegen die Gesellschaft, die nicht vollständig durch die Gesellschaft gedeckt sind – mit der Liberierungsschuld verrechnet werden (Art. 634a nOR). Im Streitfalle können die Statuten für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten neu ein Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz bezeichnen (Art. 697n nOR).
Wenn Du Fragen zum neuen Aktienrecht hast, zögere nicht, unsere Expertinnen und Experten mit einer unverbindlichen Anfrage zu kontaktieren.
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