Neue Formen der Generalversammlung

Legal Update: Komplett virtuell, hybrid oder per Zirkularbeschluss – in diesem Beitrag unserer Blogserie zum neuen Aktienrecht geben wir Dir einen Überblick über die neuen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Durchführung der Generalversammlung sowie praktische Hinweise zur Umsetzung.

Ab dem 1. Januar 2023 treten die Bestimmungen der «grossen Aktienrechtsrevision» inkraft  (unseren Überblick findest du in einem früheren Blogbeitrag). In Bezug auf die Generalversammlung bildet das Gesetz künftig den technologischen Fortschritt besser ab, indem eine Grundlage für den Einsatz «elektronischer Mittel» geschaffen wird. Im folgenden Überblick liegt der Fokus auf nicht-börsenkotierten Aktiengesellschaften.

Variante «virtuell»

Künftig kann eine Generalversammlung ohne physischen Tagungsort, also komplett digital, durchgeführt werden. Der Gesetzgeber nennt diese Möglichkeit in Art. 701d des neuen Obligationenrechts (nOR) «virtuelle Generalversammlung». Bereits seit dem Beginn der Corona-Pandemie, also seit dem Frühjahr 2020, ist die virtuelle Generalversammlung möglich. Diese Übergangslösung, die ihren Ursprung im Notrecht hat, wird nun ins Obligationenrecht überführt und somit beibehalten.

Die Variante «virtuell» ist nicht nur für technologie-affine Start-Ups interessant. Sie ist auch attraktiv für Gesellschaften mit einem schweiz- oder weltweit gestreuten Aktionariat. Der physische Tagungsort wird durch eine geeignete Online-Plattform (beispielsweise Zoom oder Teams) ersetzt. Vorausgesetzt ist im Prinzip lediglich ein Internetzugang bei allen Teilnehmenden, die Möglichkeit der Stimmabgabe (beispielsweise mittels e-Voting-Tools; bei einem überschaubarem Aktionärskreis tut es auch ein «Handstrecken» im Video-Call) sowie genügend Bandbreite, damit die Übertragung nicht ins Stocken gerät (siehe dazu unten: Technische Probleme und Stolpersteine).

Aus rechtlicher Sicht müssen verschiedene Punkte beachtet werden: Zunächst bedarf die Variante «virtuelle Generalversammlung» einer statutarischen Grundlage. Der Verwaltungsrat sollte zudem abklären, ob den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern die elektronische Teilnahme möglich ist. Allenfalls verfügen nämlich nicht alle Personen über das technische Know-How – oder sie lehnen die virtuelle Generalversammlung aus anderen Gründen ab. Das Gesetz sieht daher vor, dass der Verwaltungsrat in der Einberufung einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen muss (Art. 701d Abs. 1 nOR). Dabei handelt es sich um eine unabhängige, bevollmächtigte Person, die im Rahmen der virtuellen GV stellvertretend das Stimmrecht der nicht zugeschalteten Aktionäre gemäss deren Weisungen ausübt. Bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften kann in den Statuten auf die Bezeichnung eines Stimmrechtsvertreters verzichtet werden (Art. 701b Abs. 2 nOR). Das gewählte Kommunikationsmedium muss eine unmittelbare Übertragung gewährleisten, damit die teilnehmenden Aktionärinnen und Aktionäre ihre Mitwirkungsrechte ausüben, also mitdiskutieren und Fragen stellen können. Nicht vergessen: Bereits bei der Einberufung und dann auch im Protokoll muss der Verwaltungsrat angeben, wo und in welcher Form die GV durchgeführt wird bzw. wurde.

Variante «hybrid»

Die «hybride Generalversammlung» wird im Gesetz nicht explizit genannt. Diese Möglichkeit ergibt sich aber aus Art. 701c nOR: Demnach kann der Verwaltungsrat vorsehen, dass Aktionäre, die nicht am physischen Ort der Generalversammlung anwesend sind, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben können. Die Variante «hybrid» stellt demnach eine Mischform aus herkömmlicher und virtueller Generalversammlung dar: Hier bestimmt der Verwaltungsrat einen physischen Tagungsort und ermöglicht zusätzlich die Teilnahme via elektronische Medien.

So kann die GV beispielsweise als physische Präsenzveranstaltung am Sitz Deiner Gesellschaft in Bern durchgeführt werden, wo sich der Grossteil des Aktionariats einfindet, während die Aktionärin aus Tokyo und der Aktionär aus Kapstadt die Versammlung über einen Live-Stream mitverfolgen und ihre Stimmrechte bei der Beschlussfassung über ein e-Voting-Tool ausüben können. Im Unterschied zur virtuellen GV bedarf die Variante «hybrid» keiner statutarischen Grundlage. Da ein physischer Tagungsort besteht, entfällt auch die Notwendigkeit, einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen.

Die Variante «hybrid» bietet Dir somit den idealen Gestaltungsspielraum, ohne dass Du die Statuten anpassen müsstest.

Variante «Zirkularbeschluss»

Die Generalversammlung kann neu auch auf schriftlichem Weg, ohne die mit der üblichen Einberufung verbundenen  «Vorlaufzeit» und somit relativ spontan abgehalten werden. Das Gesetz spricht hier von der «Universalversammlung» (Art. 701 nOR). Diese war bis anhin nur unter physisch Anwesenden möglich. Künftig können «die Beschlüsse auf schriftlichem Weg auf Papier oder in elektronischer Form erfolgen, sofern nicht ein Aktionär oder dessen Vertreter die mündliche Beratung verlangt» (Art. 701 Abs. 3 nOR). Der Gesetzestext legt nahe, dass die Traktanden und Anträge beispielsweise in einer E-Mail aufgeführt und in die Runde verschickt werden können (also «zirkulieren»), wobei alle Gesellschafter schriftlich zu den Traktanden und/oder Anträgen Stellung beziehen und ihre Stimme abgeben. Voraussetzung für die Universalversammlung per Zirkularbeschluss ist, dass sich sämtliche Aktionärinnen und Aktionäre zu den traktandierten Geschäften äussern können – oder auf die Stimmabgabe verzichten (bzw. sich enthalten) und niemand die mündliche Beratung verlangt. Ansonsten muss die Beschlussfassung auf eine «herkömmliche» Generalversammlung vertagt werden. Eine Statutenanpassung ist nicht notwendig, allerdings sollte der Verwaltungsrat das Einverständnis des Aktionariats vorgängig einholen und klar definieren, bis wann die Stimmenabgabe erfolgen muss.

Variante «Ausland»

Explizit zulässig ist neu auch die Durchführung der GV im Ausland (Art. 701b nOR), sofern die Statuten nichts anderes vorsehen. Vorausgesetzt ist die Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters in der Einberufung. Auf letzteres kann eine nichtbörsenkotierte Gesellschaft verzichten, wenn sämtliche Aktionäre damit einverstanden sind. In der Praxis wurden bereits in der Vergangenheit Generalversammlungen im Ausland durchgeführt. Neu sollte die Variante «Ausland» aber ebenfalls auf einer statutarischen Grundlage beruhen, was bislang nicht der Fall war. Insofern bringt die Aktienrevision hier eine Verschärfung mit sich.

Vorsicht bei öffentlicher Beurkundung

Je nach Traktanden ist bei der Wahl der GV-Variante Vorsicht geboten: Namentlich bei Statutenänderungen (beispielsweise Sitzverlegung oder Änderung des Gesellschaftszwecks), Kapitalerhöhungen oder bei der Gründung einer Gesellschaft muss eine Urkundsperson (im Kanton Bern: eine Notarin oder ein Notar) an der GV anwesend sein und eine öffentliche Urkunde errichten. Hier solltest du vorgängig mit der Urkundsperson abklären, ob die virtuelle Beschlussfassung für die traktandierten Gegenstände nötig und möglich ist. Der Gesetzgeber geht zwar grundsätzlich davon aus, dass über beurkundungspflichtige Geschäfte auch virtuell Beschlüsse gefasst werden können. In der Schweiz ist es aber auch künftig nicht möglich, Gesellschaften via Online-Verfahren zu gründen.

Technische Probleme und weitere Stolpersteine

Was passiert, wenn die Bandbreite für die Generalversammlung via Video-Call nicht ausreicht und die Verbindung nach dem ersten Traktandum abbricht? Was ist, wenn kurz vor der Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates Serverprobleme auftreten? Diese Fälle werden in Art. 701f nOR thematisiert: Treten während der Generalversammlung technische Probleme auf, sodass die Generalversammlung nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann, so muss sie wiederholt werden (Abs. 1). Beschlüsse, welche die Generalversammlung vor dem Auftreten der technischen Probleme gefasst hat, bleiben gültig (Abs. 2). Treten «relevante technische Probleme» auf, muss dies zudem im Protokoll vermerkt werden (Art. 702 Abs. 2 Ziff. 6 nOR). Es empfiehlt sich daher, bereits bei der Einberufung daran zu denken, dass nicht alles wie gewünscht ablaufen könnte und für diesen Fall einen Ersatztermin vorzusehen.

Auch für den sicheren Ablauf der Generalversammlung ist der Verwaltungsrat zuständig. Er hat sicherzustellen, dass die Identität der Teilnehmer feststeht, die Voten in der Generalversammlung unmittelbar übertragen werden, jeder Teilnehmer Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen kann und dass das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann (Art. 701e nOR). Sonst besteht die Gefahr, dass die Beschlüsse anfechtbar, im ärgsten Fall sogar nichtig sind. Es ist dringend zu empfehlen, Online-Tools vorgängig und sorgfältig zu validieren, damit keine unerwünschten Teilnehmer mitwirken können und die Aktionärinnen und Aktionäre ihre Rechte ungehindert ausüben können.

 

Willst Du Deine Statuten auf den neusten Gesetzestand updaten? Brauchst Du praktische, rechtliche Unterstützung bei der Organisation der Generalversammlung? Hast Du weitere Fragen zum Aktienrecht? Dann schick uns eine unverbindliche Anfrage. Wir helfen Dir gerne weiter.

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